Mittwoch, 15. Juni 2022

Schwierigkeiten in der Partnerschaft – Lösungen erarbeiten und entwickeln


Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Schwierigkeiten in der Partnerschaft und den Möglichkeiten, diese zu erkennen, zu erklären und daraus Lösungen zu entwickeln.

Sehr geehrte Damen und Herren

Herzlich willkommen zu unserem heutigen Gespräch. Wir können heute Abend nur einen Anfang dazu machen, diese Fragen anzugehen. Wir müssen uns Zeit nehmen, um die schwierigen psychologischen Fragen um die Partnerschaften genau zu klären. Heute Abend werde ich Sie mit meinen Ausführungen herausfordern, versuche aber trotzdem einfach zu sprechen und bitte Sie, den Gedankengängen zu folgen und sie mit mir zu diskutieren. Unser Anliegen ist es, einen aufklärerischen Beitrag zu leisten, um die weitverbreitete Unsicherheit in diesem Bereich zu verringern, falschen Vorstellungen über die Gründe von Partnerschaftsproblemen entgegenzutreten und genauer zu erfassen, wie man sich an die psychologischen Ursachen herantasten kann.

In Befragungen der Bevölkerung nach den grössten Wünschen im Leben steht eine glückliche Partnerschaft neben der Gesundheit an oberster Stelle. Ein glückliches Partnerschafts- und Familienleben ist für 9 von 10 Befragten vorrangig und gehört zu den wichtigsten Werten im Leben. Und man meint damit eine Partnerschaft mit gegenseitigem Respekt, Liebe, Zärtlichkeit und Treue. Dieser Wunsch ist sehr stark und auch das Engagement meistens gross, einen richtigen Partner oder eine Partnerin zu finden und eine gute Partnerschaft aufzubauen. Wenn sich zwei finden und verlieben, können sie sich nicht vorstellen, dass das Zusammensein schwierig werden könnte. Und doch treten in in den meisten Partnerschaften innerhalb relativ kurzer Zeit so grosse Probleme auf, dass die meisten wieder auseinander gehen. Auch von denjenigen, die heiraten, lassen sich die Hälfte wieder scheiden und von den anderen Ehen befinden sich viele in keinem guten Zustand, was in Ärger, Streit, Resignation, mangelnder gegenseitiger Unterstützung oder sexuellem Mangel zum Ausdruck kommt.

Wie kommt es zu einer beglückenden Partnerschaft?

Warum geht also der starke Wunsch nach einer guten Partnerschaft so oft nicht in Erfüllung? Wie kommt es zu diesen Schwierigkeiten im engen Zusammenleben? Um diese Fragen zu beantworten, stellen wir uns zuerst die Frage, was es für eine glückliche Partnerschaft braucht.

Professor Guy Bodenmann von der Universität Zürich erklärte in einem Aufsatz im Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP) (2007) «Wie Partnerschaft gelingt», nach 30 jähriger Forschung sei bisher herausgekommen, dass die längerfristig wirksamen Garanten für eine glückliche Partnerschaft die individuellen Kompetenzen sowie Kompetenzen des Paares sind, nämlich


  1. wie sie miteinander kommunizieren,



  2. ob sie für auftauchende Probleme Lösungen finden und



  3. wie sie insbesondere in Stresssituationen miteinander kooperieren können.


Partnerschaft als Aufgabe

Damit man eine zufriedenstellende Partnerschaft führen kann, muss man sie also zunächst einmal als Aufgabe ansehen, die man lösen muss, wenn man die nötigen Fähigkeiten nicht zufällig in seinem bisherigen Leben entwickelt hat. Eine Partnerschaft ist also eine Aufgabe und kein Glücksfall oder ein Schicksal, das eben zufällig gelingt oder auch nicht. Es liegt in der Hand der beiden Partner, aber nur, wenn beide gleichwertig dazu beitragen können. Diese Aufgabe kann man besser bewältigen, wenn man in der Lage ist, Alltagsschwierigkeiten überwinden zu können und die Anforderungen der Partnerschaft zu meistern. Paare müssen imstande sein oder so weit kommen, mit verschiedenen Schwierigkeiten umgehen zu lernen und an diesen Aufgaben zu wachsen. Wer die Partnerschaft als eine Aufgabe ansieht, immer besser mit dem anderen zusammenarbeiten zu können, hat gute Chancen für eine erfüllte Partnerschaft, denn sie werden mit Schwierigkeiten rechnen und diese mit dem Partner anpacken.

Schauen wir uns also die erwähnten 3 Kompetenzen für eine gelingende Partnerschaft genauer an: erstens Kommunikation, zweitens Fähigkeit zur Problemlösung und drittens Bewältigung sogenannt stressiger Situationen.

Erstens: Kommunikation in der Partnerschaft

John und Julie Gottmann untersuchen nur 20 Minuten lang die Art, wie und wie lange zwei Partner miteinander reden, wie sie im Gespräch aufeinander eingehen oder auch nicht – teilweise in regelmässigen Abständen über Jahre.

Wie zufriedene Paare kommunizieren

Guy Bodenmann stellt fest: Zufriedene Paare zeichnen sich aus durch

  1. mehr positive Affekte wie Empathie, Wärme, Aufmerksamkeit, Zärtlichkeit, Wohlwollen.

  2. mehr soziale Verstärkung wie Zustimmung, Übereinstimmung, gegenseitige Versicherung, mitzudenken, mitzufühlen, interessiert zu sein.

  3. mehr versöhnende und die Kommunikation erleichternde Handlungen wie Akzeptanz, Humor, Themenwechsel in verfahrenen Situationen, Umschreibung des Gesagten mit anderen Wörtern (Paraphrasierungen).

  4. ein stärkeres Engagement bei Problemlösungen wie Ausprobieren, Informationssuche, Informationsweitergabe.

Diese Art der Kommunikation zeugt davon, dass die Partner bemüht sind, sich in den anderen hineinzuversetzen, die Gefühle des anderen nachzuvollziehen, sich im anderen zu spiegeln, dem anderen positive Motive zu unterstellen. Wenn man sich gerne ein immer genaueres Bild vom anderen und von dessen Motiven, Gefühlen, Gedanken und Lebensvorstellungen machen will, hat das zur Folge, dass man viele Gespräche mit dem anderen führt. Durch diese Gespräche kann man immer besser erahnen oder erkennen, was der andere mit Andeutungen meint oder empfindet oder was den anderen bewegen könnte. So entsteht eine innere Vorstellung vom jeweils anderen und damit eine Verbundenheit. Diese Entwicklung zur Verbundenheit braucht Zeit, Engagement, Interesse und Freude am Sich-Kennenlernen und steht im Gegensatz zum weitverbreiteten Märchen, dass sich Liebende einfach von alleine und ohne Worte verstehen können müssten. Im Gegenteil zeigt sich in der Entwicklung zur Partnerschaft, inwieweit man vorher schon gelernt hat, sich in einen anderen hineinzuversetzen und sich von den Ansichten und Empfindungen des anderen berühren zu lassen.

Es braucht eine so grosse Freude an diesem Ablauf hin zu echten Begegnungen im Gefühl, im geistigen Austausch und in der Sexualität, dass die Lebensfreude des anderen mindestens so wichtig wird wie die eigene. Diese Ausrichtung auf den anderen wird mit Sympathie belohnt und ist befriedigend. Emotionale Bindung entsteht deshalb, wenn zwei Menschen in der Lage sind, sich miteinander auf dasselbe konzentrieren zu können, sich darin verbinden, sich an demselben zu erfreuen, sei es für einen Augenblick oder für länger.

Der Neurophysiologe Professor Wolfgang Bauer begründet diesen für alle Menschen so befriedigenden Vorgang in seinem Buch «Warum ich fühle, was Du fühlst» mit neuronalen Spiegelsystemen im Gehirn. Diese könnten die Grundlage dafür sein, dass wir überhaupt die Befindlichkeit, die emotionale Gestimmtheit und die Wünsche des anderen genauso wahrnehmen können wie unsere eigenen, diese spontan zu unseren eigenen machen können und deshalb dabei genau die gleiche Freude empfinden können, wie wenn es uns selbst betrifft.

Wie unzufriedene Paare kommunizieren

Bei unzufriedenen Paaren stellt man hingegen schon in kurzen Gesprächen, die sie miteinander führen, viel Kritik und Abwertungen fest, sarkastische und verächtliche Bemerkungen, Rückzugsverhalten, Zurückweisung, Verteidigung und zudem Verhaltensweisen, die sich gegenseitig negativ aufschaukeln. Die spontanen Zuschreibungen oder Erklärungen für das Verhalten des anderen sind vorwiegend negativ. Zudem zeigt die Mimik und Gestik bei solchen Paaren dem anderen Abneigung, sogar wenn sie etwas Neutrales oder Positives sagen. Weiter verstehen sich solche Paare sehr häufig falsch und meinen viel eher, der andere hätte etwas gegen einen gesagt. Die innere Ausrichtung ist nicht auf den anderen hin gerichtet. Man versucht nicht, sich in den anderen hineinzuversetzen, diesen zu verstehen, sondern sich vorbeugend gegen Angriffe des anderen zu wehren, sich vorbeugend zu behaupten oder die vermutete Kritik zu verhindern. Diese Art von Streit verhindert die Entwicklung einer befriedigenden Partnerschaft. Zudem ist Streit verletzend; er hält den anderen auf Abstand und verhindert, dass die Beziehung enger wird.

Empfehlungen zur Kommunikation

Wer also eine Partnerschaft pflegen will, sollte in der Kommunikation 4 Verhaltensweisen vermeiden:

  1. destruktive Kritik,

  2. abwertende Bemerkungen,

  3. häufiges Sich-Verteidigen und Gegenangriffe und

  4. Rückzug aus der Kommunikation und Gesprächsverweigerung.

Es ist deshalb besser, man lässt Aversionen gegenüber dem Partner nicht freien Lauf – wenn solche Gefühle schon aufkommen. Man hat untersucht, dass für eine zufriedenstellende und lang anhaltende Partnerschaft eine kritische Äusserung oder unangenehme Interaktionmit mindestens fünf (!) positiven Äusserungen oder Interaktionen ausgeglichen werden (John und Julie Gottmann).

Abneigungen gegen den Partner sind ein Zeichen dafür, dass man dabei ist, die Liebe zu verderben. Am besten ist es, sich so schnell wie möglich bei jemandem Hilfe zu holen, der mit einem zusammen überlegt, wie es zu diesen Gefühlen gegenüber dem oder der Liebsten kommt und wie man diesen Vorgang besser verstehen und ändern kann.

Grundsätzlich sind es immer eigene Gefühlslagen, die mit dem Partner primär nichts zu tun haben, sondern mit der eigenen Lebensgeschichte und damit, welche Lehren man daraus gezogen hat. Allerdings wird der Partner die ablehnende Gefühlslage meistens doch spüren und deshalb sollte sie innerhalb nützlicher Frist im Gespräch mit anderen aufgelöst werden. Wichtig dabei ist es zu wissen, dass jeder Mensch solche negativen Gefühle kennt. Man kann lernen, bei sich die eigenen negativen Gefühle zu erkennen und sie nicht am anderen auszuleben.

Zweitens: Fähigkeit zum Lösen von Problemen

Wir haben jetzt über die Kompetenz «gutes Kommunikationsverhalten» der Partner gesprochen. Als zweite Kompetenz für eine langfristig glückliche Partnerschaft haben wir schon die Fähigkeit erwähnt, Alltagsprobleme bewältigen zu können.

Dazu gehört zunächst einmal, dass man grundlegende Fertigkeiten innerhalb einer angemessenen Zeit ausüben kann, die im Alltag notwendig sind, seien es Tätigkeiten im Haushalt oder handwerkliche Fähigkeiten, die nicht nur irgendwie erledigt werden müssen, sondern auch einigermassen korrekt und schnell.

Bei der Art der Bewältigung dieser Aufgaben zeigt sich aber auch, wie weit und wie oft man sich selbst motivieren, Initiative ergreifen, wie weit man sich organisieren, Aufgaben sinnvoll bewältigen und vorankommen kann. Es zeigt sich auch in der Partnerschaft, wie weit man in der Lage ist, Absprachen mit anderen treffen zu können, sich korrigieren zu lassen, miteinander etwas zu lernen, etwas zusammen zu entwickeln. Zudem, wie weit man sich über eine andere Meinung und andere Vorstellungen bim Partner zu freuen und wie weit das Interesse am anderen geht. Will man den anderen verstehen ? Und kann man ihn verstehen?

Je schneller sich jemand vom Leben gezwungen, eingeschränkt oder gar bedroht fühlt, umso eher schaltet er seine Bezugnahme zum anderen aus; also auch seine menschliche Fähigkeit, sich im anderen zu spiegeln. Für eine gelingende Partnerschaft ist daher von Bedeutung, wie weit sich die einzelnen in ihrem Leben darauf vorbereitet haben, allgemeine Fähigkeiten der Lebensbewältigung und der Kooperation zu erwerben. Dazu gehört auch, sich Freunde suchen zu können und sich als Freunde finden zu lassen, Darüberhinaus ist es ein Zeichen seelischer Gesundheit, wenn man sich dabei auf Erfahrenere abstützen kann und so unter anderem erlebt, dass auch die eigene Partnerschaft und damit das eigene Leben ein Teil der Kultur ist.

Empfehlung:

Wenn Sie also eine Partnerschaft pflegen wollen, dann:

  1. Trainieren Sie Ihre Alltagsfertigkeiten und freuen Sie sich daran, den Alltag mit dem anderen oder für den anderen immer besser zu bewältigen.

  2. Stellen Sie sich darauf ein, den anderen immer wieder kennen lernen zu wollen und ihm wohlwollend zu begegnen. Lehnen Sie unvorhergesehene Vorstellungen Ihres Partners nicht als Störung für Ihre eigenen, so gut durchdachten oder emotional so sehr erwünschten Pläne ab, sondern stellen Sie sich darauf ein, den anderen verstehen zu wollen.

  3. Verständnis ist nur möglich, wenn es von beiden Seiten aufgebracht wird. Eine Partnerschaft muss von beiden Partnern in gleicher Weise mitgetragen werden. Diese Forderung ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mensch ein soziales Wesen ist. Man kann die Partnerschaft auch als eine kleine Kooperative sehen.

  4. Denken Sie daran, dass der andere Mensch auch als Partner ein freier Mensch ist, von dem sie nicht fordern können, dass er Ihre Wünsche zu erfüllen hat. Respekt und Achtung vor dem anderen ist Voraussetzung für ein gutes Gelingen. Immer wenn Gleichwertigkeit im Miteinander fehlt, wird die Partnerschaft gestört. Egal, ob die Gleichwertigkeit durch gefühlte traditionelle Festlegungen von der Bedeutung von Mann und Frau beeinträchtigt ist oder durch den modernen Mythos vom Kampf der Geschlechter, es stört die Entwicklung der innigen Bezogenheit aufeinander.

  5. Die Problemlösungen sind umso einfacher zu finden, je mehr in einer Partnerschaft einer dem anderen das Leben verschönern möchte.

  6. Entwickeln Sie Vertrauen zu Mitmenschen, auf die Sie sich abstützen und mit denen Sie ihre Schwierigkeiten und Freuden alleine oder gemeinsam besprechen und teilen können.

Drittens: Bewältigung von Stresssituationen

Bei der Frage, wie es zu einer glücklichen Partnerschaft kommt, haben wir erstens betrachtet, wie gut die Partner kommunizieren können, zweitens überlegt, wie weit die Partner fähig sind, Probleme zu lösen und kommen jetzt zur dritten Fähigkeit, wie die Partner Stresssituationen bewältigen. Die meisten Paare können sich gut verständigen, solange keine Stresssituationen auftauchen. Anspannung und Stress führen dazu, dass man sich weniger in den anderen einfühlt, Feinheiten wahrnimmt, auf den anderen bezogen ist sowie Signale vom anderen nachvollziehen kann. Man ist mehr mit sich beschäftigt, ist unsicherer, ob man seine eigene Situation bewältigen kann, interessiert sich weniger für den anderen, vermeidet den Austausch mit dem anderen und ist mehr auf sich festgefahren. Stresssituationen führen zu einer erhöhten Anforderung an die Kooperationsfähigkeit. Sie zeigen auf, inwieweit man davon überzeugt ist, dass man sich auf andere verlassen kann. Gerade in solchen Situationen stellt sich heraus, ob die Partner eine gewisse Gelassenheit empfinden können, weil sie sicher sind, dass anstehende Probleme lösbar sind. Interessanterweise entstehen die Stresssituationen nicht nur durch einschneidende Ereignissen im Leben, die einen belasten, sondern auch oder vor allem im Alltag, der einen «stresst». Das heisst, dass man sich Alltagssituationen nicht gewachsen fühlt, was bedeutet, dass man dem Alltag mit zu wenigen Fähigkeiten gegenüber tritt oder meint, zu wenige Fähigkeiten zu besitzen oder zu wenig Geduld für anstehende Aufgaben aufbringen kann.

Empfehlungen

Für eine gute Partnerschaft ist es also sinnvoll,

  1. Stresssituationen zu verringern, wo es möglich ist.

  2. bewusst Situationen schaffen, in denen man freier ist und dabei die Verbundenheit mit dem anderen pflegen kann. Wenn man sich etwas Zeit nimmt, sich bewusst auf eine gemeinsame Sache zu konzentrieren, verschafft man sich viel eher wieder das Erlebnis, dass man aufeinander bezogen ist und sich gegenseitig versteht.

  3. gerade in Stresssituationen bewusst darauf achten, dass man aufeinander eingeht, miteinander spricht, kritisch ist, wie man den anderen wahrnimmt. Man ist oft ungerecht, unterschiebt dem anderen zu viel Negatives.

  4. gemeinsame Sorgen besprechen. Wenn das gelingt, kann die Vorannahme korrigiert werden, im Leben alleine da zu stehen und sich alleine durchkämpfen zu müssen. Das gemeinsame Sprechen verstärkt die Verbundenheit der Partner und führt zu einer besseren Zukunftserwartung.

  5. dem Partner in Stresssituationen helfen, ein Problem zu durchdenken und bei Bedarf Lösungen suchen. Wenn man dem Partner eine Aufgabe in einer schwierigen Situation vorübergehend abnehmen kann, stärkt das das Vertrauen.

  6. nicht noch Angst zu erzeugen durch lautes Auftreten oder deutlichen «leisen» Rückzug im Beleidigtsein. In Angstsituationen versagt nämlich die richtige Einschätzung, was angemessen ist, denn die Einfühlung in andere ist beeinträchtigt und die Wahrnehmung und deren Bewertung von sich selbst, dem anderen und der Situation ist besonders stark verzerrt – wie zuerst Harry Stuck Sullivan später Aaron T. Beck das bezeichneten – bzw. tendenziös verarbeitet – wie Alfred Adler das nannte.

  7. Humor als zuversichtliche Gelassenheit gegenüber auftretenden Problemen und eine optimistische Haltung zum Leben besonders zu pflegen, wie sie Professor Willibald Ruch mit der Positiven Psychologie hervorhebt.

Ich habe Ihnen jetzt einige Hinweise dafür gegeben, wie Partnerschaften gepflegt werden und wie Partnerschaften Schaden nehmen können. Das kann helfen, wenn man in der Lage ist, Interesse für den anderen zu empfinden oder empfinden zu lernen. Für jede Empfehlung gilt, dass sie nur dann hilfreich ist, wenn sie im richtigen Zusammenhang mit den Motiven und Gefühlen der beiden Partner gesehen wird, nämlich als Hinweis dafür, wie man Zweisamkeit herstellen kann.

So kann es zum Beispiel sein, dass ein Mensch seine Bedeutung dadurch gewinnt, dass er sich über den anderen stellt. In diesem Fall kann seine sogenannte Hilfeleistung beim Partner dem Zweck dienen, diesen kleiner zu machen – anstatt echte Unterstützung zu sein. Meistens geschieht das unbewusst. Genauso gut kann es sein, dass ein Partner aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus Hilfeleistung vom anderen immer als Demütigung erlebt und deshalb selten die beglückende Erfahrung machen kann, Unterstützung zu erhalten. Ein solcher Mensch steht in Gefahr, dem Partner ständig zu unterstellen, dieser wolle ihn klein halten, auch wenn es nicht so ist.

Bindungssicherheit bei den Eltern erleichtert eine glückliche Partnerschaft

Um diese Phänomene zu verstehen, müssen wir noch einen Schritt weiter gehen und erfassen lernen, warum der eine sich solche Vorsätze – wie die beschriebenen – ernsthaft überlegt und umsetzen kann und der andere nicht. Oder warum zum Beispiel der eine bei der Hilfeleistung für den anderen eine innere Verbundenheit erlebt und eine Innigkeit verspürt und der andere nicht. Warum der eine sich zu Menschen hingezogen fühlt, die sich gegenseitig respektieren und warum ein anderer gegenseitigen Respekt zwar auch ganz nett findet, aber doch ein viel stärkeres Interesse und sogar Erotik verspürt, wenn einer auf den anderen nicht eingeht oder sogar dominiert.

Ein erster Hinweis gibt uns die Bindungsforschung wie sie zum Beispiel im Artikel «Bindung in Partnerschaften» von Porfessor Hans Werner Bierhoff und Dr. Elke Rohmann im «Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik» dargestellt wird oder in deren Buch «Was die Liebe stark macht». Wenn man als Kind bei den Eltern eine sichere Bindung erlebt hat, bewirkt das, dass man in einer Partnerschaft viel eher Vertrauen entwickeln und die gemeinsamen Schwierigkeiten lösen kann. Solche Erwachsenen haben eher Zugang zu partnerschaftlichen Gefühlen, können mehr über sich selbst reflektieren und Verhaltensweisen entwickeln, die der Konfliktlösung dienen. Derjenige, der in der Kindheit eine sichere Bindung zu seinen Beziehungspersonen erlebt hat, idealisiert Beziehungen weniger, vermeidet seltener emotionale Gedanken und Themen, verharmlost Konflikte weniger und ist emotional offener. Erwachsene, die eine sichere Bindung bei ihren Eltern erlebten, entwickeln viel grössere Fähigkeiten im Leben, um eine enge Beziehung aufrecht erhalten zu können. Darüberhinaus können sie Liebeserlebnisse viel stärker als glücklich, freundschaftlich und vertrauensvoll erleben. Sie können zudem ihren Partner viel eher unterstützen und akzeptieren.

Kinder, die unsicher gebunden waren, empfinden in der Partnerschaft viel schneller Misstrauen gegen den Partner, entwickeln schneller eine Angst vor Zurückweisung und eine persönliche Unsicherheit. Sie bauen viel schneller Eifersuchtsgefühle auf und haben viel grössere emotionale Hochs und Tiefs.

Ängstlich gebundene Kinder entwickeln in der Partnerschaft auffällig oft sehr starke Angst, nicht geliebt zu werden, eine sehr starke Eifersucht. Die Liebe erleben sie schnell als zum Teil quälende Besessenheit und Abhängigkeit.

Wer keine sichere Bindung in seiner Kindheit erlebt hat, kann das allerdings später nachholen, wenn er sich seiner Unzulänglichkeiten bewusst wird und sich dazu entschliesst, darüber hinauszuwachsen und Sicherheit in vertrauensvollen Beziehungen erleben kann.

Die Fähigkeit zur Partnerschaft hängt mit Kindheitserlebnissen zusammen

Wir folgern aus dieser und ähnlichen Studien, dass die grundlegenden Fähigkeiten, eine Partnerschaft pflegen zu können, mit den Erlebnissen in der Kindheit zu tun haben. Da entsteht die Fähigkeit, mit dem anderen in einer sicheren Art und Weise kooperieren zu können, kontinuierlich mit dem anderen in einer innigen Verbindung zu sein, das Gefühl, sich auf den anderen verlassen und sich diesem anvertrauen zu können.

Auch hier geben uns die Forschungsergebnisse der Neurophysiologie nützliche Hinweise. Um sich bei anderen spiegeln zu können, nutzen wir die eigenen Erfahrungen. Je besser diese auf Kooperation vorgespurt sind, umso sicherer wird die Einschätzung der anderen. Bei den meisten von uns gibt es aber Störungen bei der Vorbereitung auf die Kooperation. Das führt zu Fehlinterpretationen von Situationen, vom Verhalten, Fühlen und Denken anderer, meistens verbunden mit entsprechenden ablehnenden Emotionen, die zugunsten der Absicherung der eigenen falschen Meinung entwickelt werden. Wir müssen deshalb vorsichtig gegenüber uns selbst sein – sowohl was unser Denken als auch was unsere Gefühle angeht –, solange wir nicht wissen, wie unsere innere Stellungnahme von der Kindheit geprägt worden ist. Unsere Intuition und unsere Logik, die in vielen Situationen richtig sein kann, versagt öfter, wenn die Vorerfahrung uns zu Fehlschlüssen verleitet. Wir folgen dann einer Eigenlogik im Denken und Fühlen. In der Partnerschaft, die eine speziell enge Beziehung ist, sind wir besonders verleitet, der Eigenlogik zu verfallen. Wir kommen zu Schlüssen, Empfindungen und Verhalten, die Freunde oder Arbeitskollegen nicht verstehen. In der Partnerschaft bewegen wir uns eben sehr oft ganz gemäss unserer Kindheitslogik und dem damit verbundenen Verhalten. Man kann auch sagen, wir bewegen uns in den in der Kindheit geprägten Schemata und Bewältigungsreaktionen, wenn man die Begriffe des Begründers der Schematherapie, Jeffrey E. Young, benutzt.

Da dieser Gedanke so wichtig ist, möchte ich ihn noch einmal mit anderen Worten wiederholen. Denn es geht um den Schlüssel zum Verständnis von Unruhe, Nervosität, Missverständnissen und Distanziertheit in den Partnerschaften:

Unbewusste Meinungen von der Welt können in Partnerschaften stören

Wir können sagen, in einer Partnerschaft kommen zwei Welten zusammen. Jeder der Partner richtet sich in seinem Fühlen, Denken und Handeln nach seinen Vorerfahrungen und ordnet das Fühlen, Denken und Handeln von seinem Partner ebenfalls gemäss dieser Vorerfahrungen ein. Man interpretiert das Geschehen in der Partnerschaft mit seinem inneren Arbeitsmodell der Welt, das man in seinen engen Beziehungen in der Kindheit entwickelt hat. Man kann auch sagen, dass man mit seinem Verarbeitungsmuster oder mit seiner Meinung von der Welt alles, was man erlebt, auf eine ganz spezifische Art und Weise wahrnimmt. Auch behandelt man den anderen mit seiner eigenen Lebensvorstellung, mit seiner Gangart, die man oft als die einzig mögliche ansieht oder zumindest als die einzig richtige – meist ohne überhaupt darüber nachzudenken oder sogar sich darüber Rechenschaft abzulegen, warum man eine Situation so oder anders einschätzt.

Man verhält sich spontan – gemäss der eigenen Vorerfahrungen. Spontanes Empfinden und Gefühle sind deshalb sehr oft auch keine gute Richtschnur für den richtigen Umgang. Aber genauso wenig ist Denken automatisch eine gute Richtschnur. Denken und Fühlen sind geprägt von der eigenen, gelebten Überzeugung über das Leben. Meist ist man sich sehr wenig bewusst, wie stark die eigene Weltsicht und die Überzeugungen von der eigenen Kindheit geprägt sind, und also ganz subjektiv sind. Man geht einfach davon aus, dass man die Dinge nur so sehen kann wie man selbst. Deshalb kann man sich oft gar nicht vorstellen, dass ein anderer, zum Beispiel der Partner, die Welt so ganz anders erlebt. Noch einmal: Die Art, das Leben anzupacken, ist uns so vertraut, so selbstverständlich, dass wir uns oft in vielen Kleinigkeiten und in grossen Dingen gar nicht vorstellen können, dass ein anderer, und dann noch der Partner, das nicht gleich empfindet, erlebt, denkt. Es kann sogar sein, dass wir buchstäblich nicht wissen, wovon ein Partner redet, wenn er uns erklären will, was er sich in einer Situation vorstellt. Wir sagen auch, es handelt sich um unbewusste Vorstellungen, die wir an die ganze Welt anlegen und mit denen wir versuchen, das Leben zu bewältigen.

Ein Beispiel: Ursache von Femdverlieben in einer Partnerschaft

Ich möchte dazu ein Beispiel nennen So kann es sein, dass in einer guten Partnerschaft einer der Partner sich in einen anderen verliebt. Man versteht von aussen her gesehen nicht, was los ist. Derjenige, der sich verliebt und eventuell sogar eine Beziehung ausserhalb der Partnerschaft zu einem anderen eingeht, kann sich meist selbst nicht verstehen, weil er keinen Einblick in seine unbewusste Betrachtung der Welt hat. Selbstverständlich rechtfertigt sich immer jeder Menschen für sein Tun und führt Gründe dafür an. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es meistens andere Gründe sind; ganz offensichtlich dann, wenn sich jemand verliebt und gleichzeitig sagt, ich will eigentlich gar nicht mit einem anderen Partner. So müssen wir untersuchen, was ihn oder sie antreibt. Das ist individuell bei jedem herauszufinden. Ein möglicher und häufiger unbewusster Ablauf kann sein, dass jemand sich zu wenig geschätzt fühlt, wenn er einfach in der Familie oder bei seinem Partner als Gleicher mitmacht. Jemand kann sich im ganzen Gefühlsleben darauf eingerichtet haben, bewundert werden zu wollen, übertriebene Vorstellungen im Leben anzustreben, also nur in dieser Situation der Bewunderung sich ganz wohl zu fühlen. So kann es sein, dass er sich aus diesem Grund fälschlicherweise von der Partnerin nicht genug gewürdigt fühlt. Dies kann unter anderem dazu führen, dass die Freude, das Interesse an der Sexualität nachlässt. Das Nachlassen des Sexualinteresses kann sogar im Dienst dessen stehen, dem Partner zu bedeuten oder diesen dazu zwingen zu wollen, ihm mehr Bewunderung zu schenken. Dieser Mensch ist darauf vorbereitet, sich in eine andere Person zu verlieben, die ihm dieses Gefühl scheinbar gibt. Ohne dass man den unbewussten Vorgang beleuchtet und ändert, verliebt sich ein solcher Mensch immer wieder in andere, denn sein Gefühl, zurückgesetzt zu sein und den anderen zu mehr Aufmerksamkeit bringen zu «wollen», treibt ihn dazu.

Kooperation als allgemeine Aufgabe des Zusammenlebens

Die beschriebenen wichtigen Fähigkeiten für die Partnerschaft: die Kommunikationsfähigkeit, das Lösen auftretender Probleme sowie eine gute Stressbewältigung hängen also mit unbewussten Vorerfahrungen, Bewertungen, Zielrichtungen und Motivationen zusammen. Diese hindern die Partner sehr häufig daran, die Empfehlungen oder guten Ratschläge umsetzen zu können – solange die unbewussten Ziele und Vorstellungen im Zusammenleben nicht bewusst werden. Wir sehen daran, dass die Fähigkeit zur Partnerschaft damit zusammenhängt, wie man ganz generell mit anderen Menschen kooperieren und anstehende Probleme lösen kann. Der allgemeine Umgang mit Menschen kommt in der Partnerschaft zum Tragen. Die Hoffnung, dass jemand in der Partnerschaft besser kooperieren könnte als mit anderen Menschen, ist eine Täuschung. Im Gegenteil kann man die Partnerschaft als eine besonders intensive Prüfung daraufhin betrachten, ob die beiden Beteiligten fähig sind, mit anderen Menschen zusammenzuarbeiten.

Wenn junge Menschen eine erfüllende Partnerschaft wünschen, empfehlen wir ihnen deshalb, dies tagtäglich in jeder Begegnung mit anderen zu üben, nämlich einen kooperativen und verständnisvollen Umgang mit anderen zu entwickeln, das allgemeine Interesse an anderen aufzubauen, in verschiedenen Angelegenheit zu einem Mitspieler zum Wohl anderer zu werden. Im Gegensatz dazu ist es eine schlechte Vorbereitung auf eine glückliche Partnerschaft, wenn man die Betonung auf Übungen in Schönheitspflege oder Muskeltraining oder anderer Selbstdarstellung legt.

Lebenslange Pflege der Partnerschaft

Unsere Aufgabe in der Partnerschaft, wie wir bereits ausgeführt haben, besteht also darin, den Partner und sich selbst in der gefühlsmässigen Weltsicht zu verstehen. Diese kooperative Aufgabe ist bereits Teil der entstehenden Verbindung. Und sie ist ein ständiger Teil des Zusammenlebens, das zu einer innigen Verbindung werden kann. Man gehört also nicht einfach zusammen, wenn man sich füreinander entscheidet, sondern man baut ein Leben lang immer wieder von Neuem das Vertrauen in den anderen auf – wenn es gelingt, für den anderen genug soziales Interesse aufzubringen. Nicht als Verpflichtung, sondern als beglückende Möglichkeit, sich beieinander zu spiegeln und Freude dabei zu empfinden, dem anderen in den verschiedenen Momenten eine Resonanz auf dessen Situation zu geben und zu sein. Um sich aufeinander einstimmen zu können, ist es offenbar erleichternd, wenn man glaubt, gemeinsame Werte zu haben und beide Partner davon ausgehen, dass die Partnerschaft halten wird. Alfred Adler (gemäss Heinz L. Ansbacher. Alfred Adlers Sexualtheorien, Fischer 1989, S.78) wies darauf hin, dass man deshalb schon bei der Wahl des Partners neben der körperlichen Anziehung folgende Punkte beachten sollte

  1. Der Partner muss bewiesen haben, dass er Freundschaft halten kann.

  2. Er muss Interesse für seine Arbeit oder andere kontinuierliche Tätigkeiten zum Wohl anderer oder des Allgemeinwohls besitzen.

  3. Er muss in der Lage sein, mehr Interesse für seinen Partner an den Tag zu legen als für sich selbst.

  4. Er muss die Gleichwertigkeit der Geschlechter, insbesondere in der Familie, anstreben.

Soll die gelebte Partnerschaft später gelingen, verlangt sie eine Übung in sozialem Interesse und Kooperation. Eine gelingende Partnerschaft beinhaltet, dass man gegenseitig sein Interesse darauf richtet, dem anderen das Leben zu verschönern, den anderen in und auswendig kennenlernen zu wollen sowie das Auf und Ab des anderen wichtiger als das eigene zu nehmen. Den anderen gegenseitig wichtiger zu nehmen als sich selbst, bedeutet in keiner Weise, dass man sich in der Partnerschaft aufgibt oder nicht zu seinen Gefühlen steht oder sein Leben für den anderen opfert.

Die Partnerschaft besteht in einem ständigen Training, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten als aus dem zufällig entstandenen Empfinden und Denken, das die meisten Menschen ganz vereinnahmt. Die Pflege der Partnerschaft besteht in gegenseitiger körperlicher und geistiger Hingabe. Eine innige Partnerschaft entsteht, wenn es sich um ein gegenseitiges Geben und Nehmen handelt. Es gibt keine Partnerschaft, wo einer alles gibt und der andere nichts. Die Partnerschaft gelingt besser, wenn man mit dem Partner auf jeder Ebene kooperieren kann – sozial, ökonomisch, geistig, intellektuell, emotional und sexuell. Insofern gibt es auch nur ansatzweise ein Glück zu zweit allein.

Die Partnerschaft gelingt besser, wenn die innige Verbindung nicht der gegenseitigen Befriedigung des Egoismus dient, sondern ein Beitrag zu einem besseren Zusammenleben unter allen Menschen ist. Soziales Interesse als Voraussetzung einer befriedigenden langfristigen Verbundenheit gilt genauso für die erotischen Gefühle und die Sexualität. Die Kooperation in der Sexualität wird durch viele irritierte Vorstellungen und Gefühle besonders erschwert, so dass in einer Umfrage ein unbefriedigendes Sexualleben als der häufigste Grund für Partnerschaftsprobleme genannt wird. Diesem Thema werden wir noch einen weiteren Vortrag widmen.

Die Gefühlslogik

Wenn wir nach Lösungen für Partnerschaftsprobleme suchen, so müssen wir nach unseren bisherigen Überlegungen verstehen lernen, wie die zwei Partner in der Kindheit gelernt haben, das Leben anzupacken, den anderen zu interpretieren, welcher Logik sie im Fühlen und Denken folgen. Wenn sich die Partner ihrer Haltungen bewusst werden, haben sie die besten Voraussetzungen, störende Anteile zu überwinden.

Im folgenden will ich an vier Beispielen verdeutlichen, wie aus einer unsachgemässen Erziehung Gangarten entstehen, die Probleme in einer Partnerschaft hervorrufen. Die Aufzählung der Gangarten ist nicht abschliessend gedacht, sondern soll die bisherigen Überlegungen verdeutlichen.

Verzärtelung:

Olivia erlebte, dass ihre Eltern ihr nicht nur sehr zugeneigt waren, sondern sie räumten ihr alle Steine aus dem Weg. Sie entwickelte dabei nicht nur eine grosse Freude daran, überbehütet zu werden, sondern auch ein Gefühl, etwas Besseres als andere zu sein. Am Leben mitbzuwirken, auf andere einzugehen, anderen eine Freude zu machen erlebte sie als Schmach. So entstand daraus ein tiefer Wunsch, sich im Leben nicht besonders anstrengen zu wollen, ja sogar ein Gefühl, abgelehnt und ungeliebt zu sein, wenn andere ihr antrugen, sich zu beteiligen.

  • Sie konnte nur ein oder mehrere Male mit Charme oder mit ein bisschen Beleidigtsein bei der Mutter oder beim Vater Wünsche wiederholen, so gingen diese regelmässig in Erfüllung.

  • Anstehende Probleme wurden von den Eltern schon gelöst, bevor Olivia diese überhaupt bemerkte

  • Die Kommunikation neben diesen Wiederholungen von Wünschen bestand vor allem darin, dass das Kind von den Eltern für jede normale Regung gelobt wurde. Anti-soziale Tendenzen übersahen die Eltern oder verharmlosten sie, auch wenn sie heftig auf die Eltern selbst losging oder bei Anforderungen bitterlich weinte.

Das führte dazu, wie in so vielen anderen Beispielen auch, dass Olivia eine Partnerschaft als gut empfindet, wenn sie dauernd im Mittelpunkt steht und jede Verhaltensweise besonders hervorgehoben wird. Olivia erzählte von ihrer ersten Erinnerung – als ein Ausdruck ihrer Lebensvorstellung – von einer abgeschlossenen Wohnung, in der sie mit einem Auto einfach hin- und herfährt, ohne von jemandem gestört zu werden – was sie als grösste Harmonie empfindet.

Als Frau war sie später ständig enttäuscht von allen, vor allem von den Männern. Sie erhoffte sich unbewusst, wieder einmal ihre sorglose Situation der ersten Jahre zu erleben. Kein Mann kann ihre spezielle Wunschvorstellung einer harmonischen Partnerschaft erfüllen, in der sie sich gar nicht als aktiver, gestaltender Teil ansieht, sondern als Empfangende, die körperlich und seelisch gut umsorgt werden will.

Olivia entwickelte verständlicherweise eine Wehmut, eine Niedergeschlagenheit, sogar eine Resignation gegenüber dem Leben, verbunden mit Träumen über Fluchtgedanken in eine schöne, heile Welt. Sie kann sich schlecht überlegen, was für einen Mann sie will, denn weder ist sie darauf vorbereitet, sich selbst ein Bild davon entwickeln zu können, wie sie sich selbst entscheiden könnte, noch ist sie darauf vorbereitet, sich über längere Zeit in Ruhe mit den ständig auftauchenden Lebensfragen auseinandersetzen zu können. Schnell fühlt sie sich gestresst, weil sie zu wenig vorbereitet ist, die normalen Anstrengungen des Lebens auf sich nehmen zu können. Sie fühlt sich deshalb schnell abgelehnt und muss viel weinen. Ihr schien die Möglichkeit, zu einer initiativen Persönlichkeit zu werden, sehr weit und nicht erreichbar. Der Konsum von Drogen und Alkohol erlaubten ihr, der Illusion ihrer Weltvorstellung nachzuhängen.

Bevorzugung:

Elena, die Älteste von zweien, erlebte in den ersten Lebensjahre ständig, dass die Mutter sie gegen den fordernden Vater verteidigte. Sie beteiligte sich nicht an den Alltagsarbeiten in der Familie, bekam dafür ab und zu eine heftige Schimpfkanonade auch von der Mutter ab, aber im ganzen Gefühl schützte ihre Mutter Elena vor dem, was sie als Mädchen selbst schlecht erlebt hatte: vor der Kritik des Vaters. So freute sie sich innerlich und zum Teil auch ganz offen, wenn Elena den Vater zurückwies und sich herausnahm, nichts zu tun. Elena wusste auch ihre Mutter auf ihrer Seite gegenüber dem jüngeren Bruder. Das Mädchen konnte jederzeit davon ausgehen, dass ihre Mutter – aber auch der Vater – alles doch selbst erledigten, was sie ihr zuerst als Arbeit angetragen hatten. Wenn sie sich weigerte, hatte sie im Gegenteil sogar viel mehr Aufmerksamkeit als mit dem einfachen Mitmachen. Sie drehte ganz unbewusst jede Situation dahin, dass sie erst mehrfach gebeten werden musste, bevor sie etwas anpackte, und sie machte die Dinge nie fertig.

So steht sie auch noch als Erwachsene vor dem Rätsel, dass sie immer alles vor sich herschiebt. Bei ihrem ersten Kind verfällt sie in eine Depression, weil sie berechtigterweise sicher ist, dass sie die Anforderungen nicht erfüllen kann und ihr niemand alles abnehmen kann. Ihr Partner, so bemüht er ist, kann diese unglückliche Haltung, alles abzuschieben, nicht kompensieren. Sie fühlt sich unverstanden, wenn sie von der Schwiegermutter hört, dass die Erziehung eines Kindes und ein 4- Zimmer-Haushalt gut zu bewältigen seien und beginnt Streit mit dieser.

Zwang:

Ein Junge erlebte ein Zuhause, in der die Mutter ständig etwas daran zu korrigieren wusste, was ihre zwei Jungen sich überlegt hatten. Der Junge entwickelte die Meinung, man komme am besten durch die Welt, indem man nach aussen hin so brav wie möglich erscheint, aber sich immer darum bemüht, so machen zu können, wie man will, ohne dass es der Partner direkt mitbekommt. Als Kind überhörte er deshalb meist den Lehrer, obwohl er sich den Anschein gab, sehr aufmerksam zu sein. Er war aber immer so nett und betroffen von seiner Ungeschicklichkeit, dass ihm diese niemand verübeln konnte. Liess die Mutter jedoch nicht locker, so konnte er auch jähzornig werden.

Er hatte sich unbewusst zum Ziel gesetzt, sich nie bezwingen zu lassen, und – sei es mit Charme oder mit Jähzorn –, sich die anderen vom Leib zu halten. In der Partnerschaft als Erwachsener kannte er nur dasselbe Schema. Er war nicht darauf vorbereitet, sich in einen innigen Austausch mit der Partnerin zu begeben. Im Gegenteil vermied er dies systematisch, denn er tat alles dafür, dieser für ihn gefährlichen Situation der Nähe, mit der er Zwang verknüpfte, zu vermeiden. Er stiess dabei seine Partnerin ständig vor den Kopf, wenn er sie abschob, zurückwies, übersah. Er verlegte sich darauf, ihre Kritik, die zum Teil heftig war, zum Thema zu machen, denn er hatte gehört, dass man mit dem Partner ins Gespräch kommen sollte. So hatte er eine Möglichkeit gefunden, sie zum Problem zu machen und damit von sich abzulenken.

Zurückgewiesenheit und Dominanz

Matteo war der Älteste von drei Kindern. Schon in jungen Jahren fühlte er sich von den 2 nachfolgenden Schwestern zurückgedrängt. Sein ganzes Bestreben ging dahin, seine scheinbar verlorene Bedeutung wieder zu gewinnen. Er weigerte sich, mit anderen mitzuspielen, ausser er gab den Ton an. Er verstritt sich oft mit anderen Kindern, die ihm nicht immer folgen wollten. Er wollte sie ständig dazu bringen, genau das zu machen, was er wollte. Er konnte zu wenig Genugtuung dabei erleben, wenn er sich mit anderen abstimmte. Er war aber sehr aktiv und lernte sehr gut zu argumentieren. Er wagte sich aber an viele Dinge nicht heran, zum Beispiel an die Schule, so dass sein Minderwertigkeitsgefühl genährt wurde. Er musste ständig beweisen, dass die Akademiker nicht viel wüssten. Er richtete sich sein Leben so ein, dass er mit irgendwelchen Fragen und Problemen alle Aufmerksamkeit der sehr netten Eltern auf sich zog, die zu sehr mitfühlen konnten, dass ein Ältester nicht richtig mitmachen wollte.

In der Partnerschaft passierte es ihm ständig, dass er die Wünsche seiner Partnerin falsch auffasste, nämlich so, dass er selbst machen konnte, wie er wollte. Zudem zwang er ihr mit grösster Hilfeleistung auf, was er sich vorstellte. So baute er der Partnerin mit viel Arbeit einen von ihr gewünschten Schrank, aber entgegen ihrem Wunsch besprach er mit ihr nicht, wie dieser aussehen sollte. Aus »Versehen“ vergass er zudem, welchen Wunsch sie über die Art der Beschläge geäussert hatte. Er ärgerte sich masslos über die Undankbarkeit der Partnerin, die sich über seine umfassende Arbeit nicht richtig freuen konnte, die er doch für sie erledigt hatte. Er wusste sich sogar zu entschuldigen, aber nur um sich selbst wieder besser zu fühlen als seine Partnerin. Er wollte ihr damit sogar beweisen, dass er nachgeben kann und auf ihre Gefühle eingeht. Er war ständig mit sich beschäftigt und mit seinen Erlebnissen.

Der Partnerin leuchtete ein, dass man sich mit ihm befassen musste, weil er immer viele Gründe dafür hatte. In der Sexualität richtete er es zufällig immer so ein, dass er zu müde war, wenn sie sich ihm nähern wollte. Er hatte besondere Lust, wenn sie müde war, und dann war er besonders aktiv.

An diesem Beispiel sieht man genauso wie an allen anderen, dass jeder Lebensbereich unbewusst dazu genutzt werden kann, das eigene Selbstwertgefühl aufgrund eines Minderwertigkeitsgefühls zu erhöhen. So ist diese Art von Selbstwertaufbau wegen einer falschen, unbewussten Meinung über das Leben n und die anderen Menschen gegen den anderen gerichtet.

Erarbeiten von Lösungen

Wenn wir also nach Lösungen für Partnerschaftsproblemen suchen, so müssen wir alle Überlegungen, die wir heute gemeinsam durchdacht haben, einbeziehen. Die ausgesprochenen Empfehlungen können helfen, sich ein Ziel zu setzen, wie man miteinander umgehen könnte und können Anhaltspunkte dafür bieten, Defizite zu erkennen.

Darüberhinaus geht es vor allem darum, sich gegenseitig richtig kennenzulernen, insbesondere sich der eigenen unbewussten Schemata zur Lebensbewältigung bewusst zu werden. Sie sind immer Gangarten, die individuell genau herausgearbeitet werden müssen, insbesondere wenn sie untaugliche Anteile für eine sinnvolle Partnerschaft enthalten. Je besser es gelingt, diese zu erfassen und als Bewältigungsmechanismen aus der Kindheit zu verstehen und zu erfühlen, umso eher kann sich der Betroffene davon distanzieren und neue, tauglichere emotionale Einstellungen einnehmen.

Es lohnt sich, genügend Geduld füreinander aufzubringen, den individuellen Lebensstil von beiden Partnern als solchen genau zu erfassen und daraus individuelle Lösungen für das Zusammenleben zu finden. Falls das nicht vollständig gelingt, kann es sinnvoll sein, sich beim Psychologen fachliche Unterstützung zu holen.

Die genannten vier Beispiele lassen erahnen, wie es aufgrund von fehlerhaften unbewussten Lebenszielen zu Schwierigkeiten in der Partnerschaft kommen kann. Wenn wir also Schwierigkeiten auf den Grund gehen wollen, stellt sich bei jedem die Frage, welche unbewussten oder halbbewussten Ziele im Leben das Denken, Fühlen und Verhalten steuern.

Um diesen Lebensstil oder das Modell zu erfassen, nach dem man sein Leben ausrichtet, können wir das Denken, Fühlen und alle Ausdrucksformen des Menschen heranziehen.

Es kann uns aber auch helfen zu erfahren, wie jemand aufgewachsen ist, vor allem in den ersten Lebensjahren und wie man die Erlebnisse eingeordnet hat, was man aus ihnen gemacht hat, welche Schlüsse man für sein eigenes Leben daraus gezogen hat. Zu den ersten Eindrücken, die die Gangart des Menschen im Leben bestimmen, gehören die Lebensart der Eltern und anderer Bezugspersonen sowie deren Umgang miteinander, deren Stellungnahme zu den Anforderungen des Lebens, die Beurteilung des Kindes durch die Eltern, die familiäre Stimmung, die Geschwistersituation, die ökonomische Situation und deren Beurteilung durch die Eltern sowie andere Einflüsse auf die Familie.

Hilfreich für die Erfassung des Lebensstils sind auch die ersten Erinnerungen, die Vorstellungen und Ziele, die man sich im Leben setzt sowie Beispiele aus dem ganzen Leben, wie man schwierige Situationen bewältigt. Auch Träume wie alle anderen Ausdrucksformen des Menschen können Hinweise dazu geben, was man unbewusst vom Leben hält, welche Art von Lösungen man sich erhofft oder befürchtet, welche Ziele einem besonders am Herzen liegen und wie man diese zu erreichen versucht.

Die Auseinandersetzung über die unbewusste Lebensmelodie und die Bewusstwerdung hilft dazu, sich besser zu verstehen. Wir gehen davon aus, dass man die Eigenlogik der seelischen Bewegungen genau erfassen kann und so Verständnis füreinander findet. Es benötigt längere Zeit, den seelischen Haushalt der Partner wohlwollend auszuleuchten.

Verschiedene Missverständnisse und Schwierigkeiten muss man nicht ablehnen, sondern sie bieten immer wieder Anlass, sich gegenseitig besser zu verstehen. Gelingt es, darüber ins Gespräch zu kommen, miteinander zu erforschen, was beide antreibt und zu speziellen Reaktionen motiviert, findet eine Annäherung statt.

Stellen sich beide Partner darauf ein, ihre störenden Anteile in der Partnerschaft zu überwinden und dafür lebenstauglichere Haltungen aufzubauen, entsteht in der Partnerschaft eine Kooperation. Bei dieser sehr persönlichen gemeinsamen Untersuchung ist es sehr hilfreich, auch andere Personen einzubeziehen, die einem Hilfestellung geben. So kann man jedem wünschen, diese teilweise anspruchsvolle, aber beglückende Erfahrung der Partnerschaft selbst gestalten zu können.

Der neurotische Charakter ist unfähig, sich der Wirklichkeit anzupassen, denn er arbeitet auf ein unerfüllbares Ideal hin.

(Alfred Adler)